Schöninger Speere: Unterschied zwischen den Versionen
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Die aufgrund des auflastenden Sedimentdrucks deformierten Speere sind mit einer Ausnahme - Speer IV ist aus Kiefernholz gefertigt - aus schlanken Fichtenstämmchen gearbeitet und besitzen Abmessungen zwischen 1,80 m und 2,50 m. In der Lage ihres Schwerpunktes und somit ihrer Wurfeigenschaften zeigen sie große Ähnlichkeit mit modernen Wettkampfspeeren. Bei Tests konnten Sportler originalgetreue Nachbauten bis zu siebzig Meter weit werfen.<ref>Leif Steguweit (1999), Die Recken von Schöningen - 400 000 Jahre Jagd mit dem Speer. Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Urgeschichte 8, 5-14.</ref><ref>Reportage in ''Wissen X-akt,'' RTL-Regionalmagazin ''Guten Abend RTL'' ([http://rtlregional.de/player.php?id=267&swid=386&seite=4 Video], 5:49 min)</ref> Die Auswahl des Holzes ist wohl in erster Linie klimatisch bedingt, da Nadelhölzer angesichts des im Vergleich zu heute wohl um einige Grad Celsius kühleren Klimas reichlich zur Verfügung standen und zudem gut bearbeitet werden konnten. Die Schöninger Speere sind bis heute noch nicht abschließend analysiert, konserviert und publiziert, so dass genauere Angaben zu den Fundumständen, dem Erhaltungszustand sowie zur Herstellungs- und Benutzungsweise fehlen. | Die aufgrund des auflastenden Sedimentdrucks deformierten Speere sind mit einer Ausnahme - Speer IV ist aus Kiefernholz gefertigt - aus schlanken Fichtenstämmchen gearbeitet und besitzen Abmessungen zwischen 1,80 m und 2,50 m. In der Lage ihres Schwerpunktes und somit ihrer Wurfeigenschaften zeigen sie große Ähnlichkeit mit modernen Wettkampfspeeren. Bei Tests konnten Sportler originalgetreue Nachbauten bis zu siebzig Meter weit werfen.<ref>Leif Steguweit (1999), Die Recken von Schöningen - 400 000 Jahre Jagd mit dem Speer. Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Urgeschichte 8, 5-14.</ref><ref>Reportage in ''Wissen X-akt,'' RTL-Regionalmagazin ''Guten Abend RTL'' ([http://rtlregional.de/player.php?id=267&swid=386&seite=4 Video], 5:49 min)</ref> Die Auswahl des Holzes ist wohl in erster Linie klimatisch bedingt, da Nadelhölzer angesichts des im Vergleich zu heute wohl um einige Grad Celsius kühleren Klimas reichlich zur Verfügung standen und zudem gut bearbeitet werden konnten. Die Schöninger Speere sind bis heute noch nicht abschließend analysiert, konserviert und publiziert, so dass genauere Angaben zu den Fundumständen, dem Erhaltungszustand sowie zur Herstellungs- und Benutzungsweise fehlen. | ||
Die Ausgrabungen der vom weiteren Braunkohlenabbau nicht mehr gefährdeten altsteinzeitlichen Fundstelle von Schöningen dauern indes immer noch an. Sie sind Teil eines archäologischen Langzeit-Forschungsprojektes (ASHB = Archäologische Schwerpunktuntersuchungen im Helmstedter Braunkohlerevier) des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege in Hannover. Die Stadt Schöningen und der ''Förderverein Schöninger Speere – Erbe der Menschheit e. V.'' bemühen sich seit Jahren um die touristische Erschließung des weltbedeutenden Fundortes in einem Forschungs- und Erlebniscenter am historischen Ort. Im November 2007 wurden die Speere im Braunschweigischen Landesmuseum erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.<ref>Die Welt: [http://www.welt.de/welt_print/article1391329/Holzspeere_beweisen_Intelligenz_der_Urzeitmenschen.html ''Holzspeere beweisen Intelligenz der Urzeitmenschen''], 23. November 2007</ref> | Die Ausgrabungen der vom weiteren Braunkohlenabbau nicht mehr gefährdeten altsteinzeitlichen Fundstelle von Schöningen dauern indes immer noch an. Sie sind Teil eines archäologischen Langzeit-Forschungsprojektes (ASHB = Archäologische Schwerpunktuntersuchungen im Helmstedter Braunkohlerevier) des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege in Hannover. Die Stadt Schöningen und der ''Förderverein Schöninger Speere – Erbe der Menschheit e. V.'' bemühen sich seit Jahren um die touristische Erschließung des weltbedeutenden Fundortes in einem Forschungs- und Erlebniscenter am historischen Ort. Am 21. Juni 2011 erreichte das Schöninger Rathaus ein Zuwendungsbescheid von Bund und Land. Insgesamt werden 14 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, um auf einem 24 Hektar großen Gelände in unmittelbarer Nähe des Fundorts der Speere am Tagebaurand das Forschungs- und Erlebniszentrum entstehen zu lassen. Im November 2007 wurden die Speere im Braunschweigischen Landesmuseum erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.<ref>Die Welt: [http://www.welt.de/welt_print/article1391329/Holzspeere_beweisen_Intelligenz_der_Urzeitmenschen.html ''Holzspeere beweisen Intelligenz der Urzeitmenschen''], 23. November 2007</ref> | ||
Den Schöninger Speeren vergleichbare Funde wurden auch am Fundplatz Bilzingsleben gemacht. | Den Schöninger Speeren vergleichbare Funde wurden auch am Fundplatz Bilzingsleben gemacht. |
Version vom 21. Juni 2011, 17:31 Uhr
Bei den Schöninger Speeren handelt es sich um acht hölzerne Wurfspeere aus der Altsteinzeit, die zusammen mit zehntausenden Tierknochenresten zwischen 1995 und 1998 im Baufeld Süd des Tagebaus Schöningen im Landkreis Helmstedt (Fundstelle Schöningen 13/II-4) gefunden wurden. Ihr Alter wurde vom Ausgräber mit ca. 400.000 Jahren angegeben. Andere Datierungsansätze gehen hingegen von etwa 270.000 Jahren aus. [1] Dessen ungeachtet können sie nach wie vor als älteste vollständig erhaltene Jagdwaffen von Angehörigen der Gattung Homo gelten und aufgrund ihres Alters Homo heidelbergensis zugeschrieben werden.
Fundobjekte
Die Speere wurden seit 1995 im Braunkohlentagebau Schöningen unter schwierigsten Bedingungen von Dr. Hartmut Thieme ausgegraben. Der Fundplatz repräsentiert ein an einem flachen Seeufer gelegenes temporäres Jagdlager. Da am Fundort über zwanzigtausend, zum Teil mit Schnittspuren von Feuersteinartefakten versehene Großsäugerknochen (zu ca. 90 % vom Wildpferd) gefunden wurden, geht der Ausgrabungsleiter von einer spezialisierten Gruppenjagd aus. Bei den Beutetieren handelt es sich vor allem um Wildpferd, Wisent, Rothirsch und Wildesel. Allein die Gruppe, die die Speere hinterließ, hat wohl 20 Wildpferde bei einer Jagdunternehmung erbeutet. Dabei wird vom Ausgräber in Betracht gezogen, dass die Speere aus religiösen Motiven heraus am Tötungsort hinterlassen wurden. Auf einem rund zehn Meter breiten und über 50 Meter langen, parallel zum seinerzeitigen Seeufer verlaufenden Streifen fanden sich Überreste in hoher Konzentration. Der Fundplatz soll in den kommenden Jahren vollständig ausgegraben werden.
Die ungewöhnlich gut erhaltenen und sorgfältig bearbeiteten Artefakte, welche in die luftabschließenden Ufersedimente eines ehemaligen Sees eingebettet waren, haben das Bild des frühen europäischen Urmenschen nachhaltig verändert. Gingen selbst international anerkannte Prähistoriker bzw. Paläoanthropologen bis vor einigen Jahren noch davon aus, dass sich Homo erectus bzw. Homo heidelbergensis und selbst noch der frühe Neandertaler von Aas ernährt hätten, lässt der Schöninger Befund kaum Zweifel an deren jägerischen Fähigkeiten. Die hoffentlich in den kommenden Jahren doch noch zu realisierende umfassende Auswertung der Speer-Fundstelle wird dazu beitragen helfen, die kulturelle Evolution der ersten Menschen in Mitteleuropa besser zu verstehen.
Die aufgrund des auflastenden Sedimentdrucks deformierten Speere sind mit einer Ausnahme - Speer IV ist aus Kiefernholz gefertigt - aus schlanken Fichtenstämmchen gearbeitet und besitzen Abmessungen zwischen 1,80 m und 2,50 m. In der Lage ihres Schwerpunktes und somit ihrer Wurfeigenschaften zeigen sie große Ähnlichkeit mit modernen Wettkampfspeeren. Bei Tests konnten Sportler originalgetreue Nachbauten bis zu siebzig Meter weit werfen.[2][3] Die Auswahl des Holzes ist wohl in erster Linie klimatisch bedingt, da Nadelhölzer angesichts des im Vergleich zu heute wohl um einige Grad Celsius kühleren Klimas reichlich zur Verfügung standen und zudem gut bearbeitet werden konnten. Die Schöninger Speere sind bis heute noch nicht abschließend analysiert, konserviert und publiziert, so dass genauere Angaben zu den Fundumständen, dem Erhaltungszustand sowie zur Herstellungs- und Benutzungsweise fehlen.
Die Ausgrabungen der vom weiteren Braunkohlenabbau nicht mehr gefährdeten altsteinzeitlichen Fundstelle von Schöningen dauern indes immer noch an. Sie sind Teil eines archäologischen Langzeit-Forschungsprojektes (ASHB = Archäologische Schwerpunktuntersuchungen im Helmstedter Braunkohlerevier) des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege in Hannover. Die Stadt Schöningen und der Förderverein Schöninger Speere – Erbe der Menschheit e. V. bemühen sich seit Jahren um die touristische Erschließung des weltbedeutenden Fundortes in einem Forschungs- und Erlebniscenter am historischen Ort. Am 21. Juni 2011 erreichte das Schöninger Rathaus ein Zuwendungsbescheid von Bund und Land. Insgesamt werden 14 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, um auf einem 24 Hektar großen Gelände in unmittelbarer Nähe des Fundorts der Speere am Tagebaurand das Forschungs- und Erlebniszentrum entstehen zu lassen. Im November 2007 wurden die Speere im Braunschweigischen Landesmuseum erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.[4]
Den Schöninger Speeren vergleichbare Funde wurden auch am Fundplatz Bilzingsleben gemacht.
Literatur
- Hartmut Thieme & Reinhard Maier (Hrsg.): Archäologische Ausgrabungen im Braunkohlentagebau Schöningen. Landkreis Helmstedt, Hannover 1995.
- Die größte archäologische Ausgrabung in Niedersachsen. Bedeutende Entdeckungen zur Urgeschichte im Tagebau Schöningen. In: M. Fansa u. a. (Hrsg.): Archäologie I Land I Niedersachsen. 25 Jahre Denkmalschutzgesetz – 400.000 Jahre Geschichte. Ausstellungskatalog (Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland, Beiheft 42). Stuttgart 2004, S. 294-299.
- Hartmut Thieme: Die ältesten Speere der Welt – Fundplätze der frühen Altsteinzeit im Tagebau Schöningen. In: Archäologisches Nachrichtenblatt 10, 2005, S. 409-417.
- Hartmut Thieme: The Lower Palaeolithic art of hunting. The case of Schöningen 13 II-4, Lower Saxony, Germany. In: C. Gamble & M. Porr (Hrsg.): The hominid individual in context. Archaeological investigations of Lower and Middle Palaeolithic landscapes, locales and artefacts. Oxford 2005, S. 115-132
- Hartmut Thieme (Hrsg.): Die Schöninger Speere. Mensch und Jagd vor 400000 Jahren. Ausstellungskatalog. Stuttgart 2007, ISBN 978-3-89646-040-0.
- Michael Baales, Olaf Jöris: Zur Altersstellung der Schöninger Speere. In: J. Burdukiewicz u. a. (Hrsg.): Erkenntnisjäger. Kultur und Umwelt des frühen Menschen. Veröffentlichungen des Landesamtes für Archäologie Sachsen-Anhalt 57, 2003 (Festschrift Dietrich Mania), S. 281-288.
- Olaf Jöris: Aus einer anderen Welt – Europa zur Zeit des Neandertalers. In: N. J. Conard u. a. (Hrsg.): Vom Neandertaler zum modernen Menschen. Ausstellungskatalog. Blaubeuren 2005, S. 47-70.
Weblinks
- Die Schöninger Speere – Mensch und Jagd vor 400.000 Jahren – Website zur Ausstellung des Landesmuseums Hannover
- Schöninger Speere – Erbe der Menschheit e. V.
- Projekt Schöningen des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege
- Prof. Biegel: Der homo erectus war kein Aasfresser, Interview auf chexx.de, Dezember 2007
- Gerhard Trnka: Rezension zu: Thieme, Hartmut (Hrsg.): Die Schöninger Speere. Mensch und Jagd vor 400.000 Jahren. Stuttgart 2007. In: H-Soz-u-Kult, 05.01.2009
- Schöninger Speere – Erbe der Menschheit
Einzelnachweise
- ↑ O. Jöris: Aus einer anderen Welt – Europa zur Zeit des Neandertalers. In: N. J. Conard u. a. (Hrsg.): Vom Neandertaler zum modernen Menschen. Ausstellungskatalog Blaubeuren 2005, S. 47-70.
- ↑ Leif Steguweit (1999), Die Recken von Schöningen - 400 000 Jahre Jagd mit dem Speer. Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Urgeschichte 8, 5-14.
- ↑ Reportage in Wissen X-akt, RTL-Regionalmagazin Guten Abend RTL (Video, 5:49 min)
- ↑ Die Welt: Holzspeere beweisen Intelligenz der Urzeitmenschen, 23. November 2007
Quelle
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